Dienstag, 17. Januar 2006

Wer kennt Bärbel Faltermayer?
Familienidylle made by microsoft

„Urlaub bedeutet für mich, dass jeder einfach mal das machen kann, wozu er gerade Lust hat“, sagt Bärbel Faltermayer, 44, viel beschäftigte Zahnärztin mit ausgeprägtem Familiensinn und dem Äußeren eines in die Jahre gekommenen Schneewittchens. Aber das sagt sie erst auf Seite zwei der dreiseitigen Kampagne für die neue „Windows XP Media Center Edition“ aus dem Hause Microsoft. Eine Seite vorher öffnet uns Schneewittchen d.Ä. unter der Überschrift „Familienprogramm“ vertrauensselig die Tür (Moment mal, sind wir dann die Hexe?): Ebenholzschwarze Locken umrahmen ein hell grundiertes Faltencremegesicht, in dem ochsenblutrot geschminkte Lippen eine tadellose Zahnreihe freilegen, die vermutlich nur deswegen nicht kraftvoll in einen blank polierten Apfel beißt, weil a) die Schneewittchenassoziation dann doch zu deutlich wäre und es den Werbestrategen vermutlich doch zu riskant erschien, ihre Botschaft derart explizit ins Märchenreich zu verlegen (Obwohl Zweifel hier angebracht sind...) und weil b) Microsoft seine Werbemodelle vermutlich besser bezahlt als blend-a-med.



Der bemerkenswert reife Schneewittchenkopf sitzt auf einem bemerkenswert asexuellen Torso, der, togaartig eingewickelt in golden schimmernde Seide über lilafarben Plissiertem akustische Halluzinationen evoziert: „Spieglein, Spieglein an der Wand...“

A propos Wand: Kommen wir zum Interieur des Familienidyll: Nachdem uns also Schneewittchen d.Ä. so freundlich ins Haus gebeten hat, stehen wir nun mit vom Umblättern feuchtem Daumen mitten in der guten Stube der Faltermayers: Vor einer längsgestreiften, in unglaublichem Blau-Gelb gehaltenen Tapete legt Mama Bärbel Sohn Paul von hinten liebevoll die Hände auf die Schultern und verfolgt über dessen Pomadenhaupt hinweg auf dem heimischen Flachbildschirm das von ihr selbst (ist die Frau!) zusammengebastelte Silvestervideo, „ein Geschenk für Oma Ruth. Die konnte nämlich dieses Jahr leider nicht bei der Feier dabei sein, weil sie mit ihren Freundinnen in den Bergen war.“ Was Oma Ruth erst nach uns zu sehen bekommt, erinnert an die Silvesterparty von Mr Bean: Alle vier Familienmitglieder - starring: Brüderchen Paul, Schwesterchen Tabea, Mütterchen Bärbel und Väterchen Martin - haben sich ein keckes Papierhütchen aufgesetzt und verleihen ihrem Enthusiasmus durch die global gültige "Spaß"-Chiffre des simultanen Armehochreißens Ausdruck.



Nein, hier gibt es keinen Zweifel: Bärbel Faltermayer ist das, was man in den 50er Jahren eine „patente Hausfrau“ nannte und gut und gerne auch heute noch so nennen darf. Denn nichts anderes ist die Botschaft: Seht her, dank Microsoft kann die patente Hausfrau von heute zeigen, wie patent sie ist, dass sie zwar nicht modisch, dafür aber technisch durchaus mit neuen Entwicklungen Schritt halten kann und darüber hinaus das Multitasking aus dem ff beherrscht: erfolgreiche Zahnärztin, liebende Mutter, treu sorgende Tochter (s. Oma Ruth), gute Seele der Familie, die auch das leibliche Wohl nicht außer Acht lässt (den Lieblingsfilm von Tochter Tabea, „Shrek“, „werden wir uns heute nach dem Abendessen alle zusammen anschauen“) und natürlich alles andere als ein Lustobjekt des Mannes, denn hey, schließlich sind wir im neuen Jahrtausend, und da hat Sex in der Werbung ausgedient.

Der neue Mann, hier verkörpert durch Papa Martin, hat seine Biologie im Griff. Er ist politisch absolut korrekt und wählt daher bis auf das abendlichen „Familienprogramm“ vermutlich gar nicht. Und bis auf seine Frau, versteht sich. Die hat er natürlich auch gewählt. Nein, auserwählt hat er sie. In mehreren Wahlgängen. Am Ende waren selbstredend die inneren Werte entscheidend, Werte, über die er neuerdings immer öfter in der Presse liest, nicht ohne ein wohliges Gefühl im sonntagsbratengefüllten Bauch, dass er es doch schon immer gewusst und es im Großen und Ganzen doch ganz richtig gemacht habe. Wie viel befriedigender ist es doch, nach Töchterchen Tabeas Lieblingsfilm zu forsten als nach Gattin Bärbels G-Punkt! Aber ein Wort wie „G-Punkt“ würde Papa Martin natürlich nie denken, der auch bei Mama Bärbel „Papa“ heißt.

Dies also ist die schöne neue Microsoftwelt. Nichts kann das kleine, heile Universum erschüttern, kein Krieg und keine Revolution. Mögen draußen die Diktaturen sprießen und Systeme kollabieren, solange das Betriebssystem nicht abstürzt, Papa Martin das „Shrek“-Video nicht versehentlich mit einem illegal aus dem Netz gezogenen SM-Porno überspielt, Sohn Paul seinen Amoklauf weiterhin in stillen Internetforen plant, Töchterchen Bärbel ihre sexuelle Orientierung hübsch unter ihrem Blümchenkleid verbirgt und als Lieblingsfilm treu und brav „Shrek“ angibt, so lange wird auch Mama Bärbel ihr patentes Faltencreme-Perlweiß-Lächeln lächeln und uns die Glücksformel für erfolgreiches Familienmanagement verraten: „Windows XP Media Center - Damit kann bei uns jeder machen, was er will.“ Aha, so geht das! Man hole sich besagtes Media Center ins zuvörderst mit 50er Jahre-Muff bestäubte Wohnzimmer, entledige sich allem, was einem lieb und teuer war (an erster Stelle des guten Geschmacks), formiere sich zum Familienstandbild und verharre den ganzen Abend möglichst in derselben „ungezwungenen“ Position, und schon gehört das Feiertagsgerangel um die dickste Truthahnkeule oder die Legitimation des Irakkriegs der Vergangenheit an. Nicht schlecht, lieber Herr Gates, da haben Sie mal wirklich etwas gewagt, was Ihnen so schnell keiner nachmacht: Rückwärtspropaganda für technischen Fortschritt! Mutter Beimer als computerbegeistertes Schneewittchen! Darauf muss man erst mal kommen. Aber verraten Sie uns eines: Wieso bloß hat sich Oma Ruth aus dem Staub gemacht?

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