Donnerstag, 27. April 2006

Tschernobyl 20+1. Ein Nachdruck.

Heute ist der 27. April 2006. Zwanzig Jahre und ein Tag nach Tschernobyl. Weil jeder GESTERN der Katastrophe gedachte, will ich es HEUTE auch nicht tun, sondern ein zutiefst wahres UND dabei noch schönes Gedicht zum Thema von Eugen Roth nachdrucken.
Hier ist es:

Das Böse

Ein Mensch, was noch ganz ungefährlich,
erklärt die Quanten (schwer erklärlich).
Ein zweiter, der das All durchspäht,
entdeckt die Relativität.
Ein dritter nimmt, noch harmlos, an,
Geheimnis stecke im Uran.
Ein vierter ist nicht fernzuhalten
Von dem Gedanken, kernzuspalten.
Ein fünfter – reine Wissenschaft! –
Entfesselt der Atome Kraft.
Ein sechster, auch noch bonafidlich,
will sie verwerten, doch nur friedlich.
Unschuldig wirken sie zusammen:
Wen dürfen, einzeln, wir verdammen?
Ist’s nicht der siebte oder achte,
der Bomben dachte und dann machte?
Ist’s nicht der Böseste der Bösen,
der’s dann gewagt, sie auszulösen?
Den Teufel wird man nie erwischen:
Er steckt von Anfang an dazwischen.

Dienstag, 25. April 2006

Senta, die Glücksspirale.

Wenn man derzeit in einem ICE von beispielsweise Kassel nach beispielsweise Gießen sitzt (wobei die Frage, ob in Gießen tatsächlich ICEs halten, hier keine Rolle spielen soll), blickt man unweigerlich in das Gesicht von Senta Berger. Von der Rücklehne des Vordermannes strahlt sie einen an, ob man will oder nicht. Man will natürlich nicht. Man will wegsehen. Doch auch im Netz des Nachbarn hängt Frau Berger, genauso wie in allen Netzen aller Rücklehnen innerhalb des Gesichtsfeldes. Man hat einfach keine Lust auf Senta Berger, man findet sie langweilig und doof, wie Frank Elstner etwa. Oder wie die Glücksspirale. Man wundert sich, wieso man auf einmal genervt ist, wo sie einem doch gar nichts getan hat. Diese Frau hat es über viele Jahrzehnte hinweg geschafft, ihr Langweilig- und Doof-Sein als „Natürlichkeit“ zu verkaufen. Verdient das nicht ungeteilten Respekt?

Nein! Genausowenig, wie Uschi Glas oder Claus Hipp unseren Respekt verdienen, wobei - Halt! Claus Hipp steht für die Qualität der Gläscheninhalte wenigstens mit seinem Namen. Was man von der „Anna Maria – eine Frau geht ihren Weg“-Mimin nicht behaupten kann - oder vielleicht doch?



Egal! Zurück zu Senta Berger. Ja, Senta Berger ist recht eigentlich die Fleisch gewordene Glücksspirale. "Deutschlands Lotterie mit den höchsten lebenslangen Rentengewinnen" (Eigenaussage) beschert dem, der es zulässt, wöchentlich "die Chance auf ein 'Leben nach Lust und Laune'“. Ähnlich ist es mit Senta Berger: Lust und Laune auf Lebenszeit. Vermutlich prangt sie deshalb seit Jahrzehnten auf jeder zweiten TV-Zeitschrift und mit zunehmender Fältchenbildung auch immer häufiger auf sog. „Kundenmagazinen“. Im April tut sie das sogar auf (mindestens) zwei verschiedenen! Neben der Deutschen Bahn und ihrer Fahrgastpublikation „DB mobil“ glaubt auch der Drogeriewarenhändler dm mit dem Heft „alverde“, seine Attraktivität Senta-Berger-gestützt zu steigern.

In Anbetracht unserer überalterten Gesellschaft, die, glaubt man den Experten (und das sollte man unbedingt und unter allen Umständen!) bald nur noch aus Kirschkompott löffelnden Lesern der „Methusalemkomplott“-Großdruckausgabe besteht, mag Senta Berger als Attraktor für potenzielle Kunden und Kundinnen durchaus sinnvoll sein.

Aber was ist mit uns, den sog. „jungen Erwachsenen“? Wie lockt man UNS? Mit Senta Berger jedenfalls nicht. Aber das ist den Marketingstrategen ganz offensichtlich egal. Wahrscheinlich haben sie uns längst abgeschrieben. Wieso soll man sich auch als erfolgsgesteuerter Marketingfachmann mit einer Zielgruppe befassen, deren Kaufkraft so groß ist wie die ihrer ungeborenen Kinder? Ich vermute, es ist so: Die „Generation Praktikum“ ist für Kundenmagazine schlichtweg nicht interessant. Da sie wieder bei den Eltern eingezogen ist und mit gefälschtem Studentenausweis in der Mensa speist, taugt sie allenfalls als Diskussionsgegenstand von Feuilletonisten und/oder Soziologenstammtischen.



Sie ist ja auch so genügsam, die heutige Dreißigerzone! Euphorisierbar schon durch die simpelsten Tricks wie etwa die Neuauflage von Süßigkeiten, die ihnen schon damals nicht geschmeckt haben, in so genannten "Nostalgie-Wundertüten" (s. aktuelles Sortiment von Aldi Süd). Ein paar Liebesperlen, ein bisschen Esspapier und zuckerhaltige Spielzeug-Armbanduhren aus in Tablettenform gepresster, pastellfarbener Stärke, und schon geraten die großen Kinder in Verzückung, wie damals, als Timm Thaler es endlich geschafft hatte, sein Lachen vom bösen Baron zurückzukaufen.

Aber zurück zu Glücksspirale Senta Berger: orangene Haarpracht, perlweiße Photoshop-Zähne, ein paar sympathische Lachfältchen um Mund und Augen, die der Art Director stehengelassen hat, denn, „hey, diese Frau steht zu ihrem Alter – genau wie unsere Kundinnen, aber bittschön in Grenzen, denn wir müssen ja auch an den Umsatz der Feuchtigkeitsfluids und Fruchtsäurecremes denken.“


Senta Berger - eine „reife Frau“, die im Interview so wunderbare Sätze spricht wie:
„Ich glaube, es gibt mich schon sehr lange und ich bin für viele Frauen schon da gewesen, als sie gerade mal im Teenageralter waren. Und jetzt gibt es mich immer noch. Da ist eine Art Vertrauen entstanden.“

Das ist es! "Vertrauen" heißt seit jeher das Zauberwort erfolgreichen Schaumschlagens, und die Corporate Publisher haben das Potenzial der Berger als vertrauensbildende Maßnahme, als Kundenbindungsinstrument früh erkannt. Sieh, Kunde, unser Unternehmen ist genau wie Senta Berger: seit Jahrzehnten im Geschäft, für viele schon da gewesen, als sie gerade mal im Teenageralter waren. Und jetzt gibt es uns immer noch.

Fragt sich nur, wann der ADAC oder die Commerzbank Senta Berger auf die Titelseiten ihrer Kundenzeitschriften setzen. Oder wann Frank Elsner seinen Job als Glücksbringer der Nation an den Nagel hängt. Lang kann’s eigentlich nicht mehr dauern.

Samstag, 8. April 2006

Psychohandy. Mein Handy weiß alles!

Dass die Entwicklung technischer Geräte, insbesondere auf dem Telekommunikationsmarkt, der mentalen ihrer Nutzer meilenweit voraus ist, ist ein Gemeinplatz, der einer eingehenderen Erörterung eigentlich unwürdig ist. Halt! „Unwürdig“ ist ein großes Wort, und große Worte sollen sorgfältig überdacht werden – ob Spitzgiebel- oder Flachdach sei dahin gestellt, und wer jetzt fragt „wohin denn?“, hat bewiesen, dass ihm auch mit dem gesamten Bestand der bei GU erhältlichen Gehirnjoggingtrainer nicht zu helfen ist.

Ein beliebtes Fleckchen auf o.g. Gemeinplatz ist der rasante Generationswechsel unter den Mobiltelefonen vulgo „Handys“. Kaum haben wir uns daran gewöhnt, dass wir mit den „Handys der neuen Generation“ fotografieren und kleine Filme drehen können, da kommt schon die nächste Generation und kämpft um Aufmerksamkeit, indem sie mit Spruchbändern und Schellenkränzen gegen den „Muff von tausend Jahren“ rebelliert, dass Rainer Langhans sich vor Neid die Haare raufen würde, wenn sie nicht sowieso schon dauergerauft wären.


So. Nun aber zur Sache. Gestern wurde ich Zeuge einer Demonstration nahezu grenzenloser Überlegenheit der Technik gegenüber der Psychologie.

Ich trabte am späten Nachmittag durch die Karlsruher Fußgängerzone. An den Drehständern hingen wie immer die Kleiderbügel voll Polyesterkonfektion, und da die Sonne frühlingshaft vom Himmel schien und die Beats am Vorabend nichts zu wünschen übrig gelassen hatten, klebten mir ausnahmsweise mal keine Bleikugeln an den Füßen, wie sonst beim Durchqueren deutscher Fußgängerzonen. Ich ließ meine Gedanken wandern und protestierte nicht, als sie sich bei einem Freund von mir niederließen, dessen Name hier nichts zur Sache tut. Geistesabwesend kramte ich in meiner Tasche nach meinem Fahrradschlüssel, als ich auf einmal sah, wie mein Mobiltelefon aus freien Stücken und völlig selbstständig eine Verbindung zu eben jenem Freund aufbaute, bei dem meine Gedanken gerade picknickten! „Mein Handy kann Gedanken lesen!“, dachte ich nicht ohne Bewunderung für das schlaue Gerät, zu dem ich ansonsten ein eher gespaltenes Verhältnis habe. Doch anstatt es gewähren zu lassen, brach ich die Verbindung schnell ab. Wie hätte ich dem Freund erklären sollen, dass nicht ich, sondern mein Gedanken lesendes Handy soeben seine Nummer gewählt hatte? -

Ich wette, man hat mir aus Versehen den Prototyp der neuen Handygeneration verkauft.


Statt zum Erwerb eines Automaten-Energiesteins in einer piefigen Walmart-Filiale rate ich lieber zum Kauf eines Psychohandys.

Montag, 3. April 2006

Forderungsmanagement: Aktenzeichen XY.

Vorgestern öffnete ich ein bemerkenswertes Schreiben. Eine so genannte „InFoScore Forderungsmanagement GmbH“ mit Sitz im (von Karlsruhe aus) benachbarten Baden-Baden hatte offenbar das Bedürfnis, mit mir zu kommunizieren. Ich ließ sie gewähren und öffnete den Briefumschlag.

„Forderung: ARCOR AG & CO.KG“ lautete die fett gedruckte Überschrift.
Ich war erstaunt, dass die Firma ARCOR sich immer noch mit mir befasste - wenn auch nur indirekt über geheimnisvolle Forderungsmanager, die man sich vermutlich so vorstellen muss wie die grauen Herren bei Momo. Dass ich meinen Vertrag bereits im Dezember vergangenen Jahres ordnungsgemäß gekündigt hatte, da es ARCOR binnen drei Monaten nicht gelungen war, einen funktionstüchtigen Festnetzanschluss in meiner Wohnung einzurichten, hielt die Forderungsmanager bzw. deren Auftraggeber ganz offensichtlich nicht davon ab, Forderungen zu stellen. Respekt!


„Sehr geehrte Frau G.“, hieß es da. „Ihre Gläubigerin hat uns mit dem Einzug der überfälligen Forderung beauftragt.“ Moment! ICH hatte eine GLÄUBIGERIN?! Eine Mischung aus Stolz und Vorurteil gegenüber halsabschneiderischen Telekommunikationsanbietern und deren Verbündeter bemächtigte sich meiner. Eine Gläubigerin hatte ich noch nie gehabt, genauso wenig wie einen Gläubiger, und im Betreten von Neuland liegt ja meistens ein nicht zu gering zu bewertender Reiz, es sei denn, es handelt sich um ein Sumpfgebiet im Norden von Weißrussland. Ob es dort tatsächlich Sumpfgebiete im geografischen Sinn gibt, entzieht sich meiner Kenntnis, und im Augenblick bin ich zu faul, den dicken wissen.de-Atlas aus dem Regal zu ziehen, und außerdem reicht ein Blick in dieses wunderbare Kartografenwerk und ich verliere mich die nächsten zwei Stunden in virtuellen Reisen um den Globus, manchmal auch auf den Mond oder zum Mars. Und solch schwärmerischer Luxus ist jetzt nicht am Platze! Schließlich geht es um nichts weniger als den Start meiner kriminellen Karriere!!

Um es kurz zu machen: Die „überfälligen Forderungen“ belaufen sich auf insgesamt Euro 193,05. Von ARCOR geleisteter Gegenwert:
- Ca. 7,5 Stunden Warteschleifenmusik
- mindestens 5 E-Mails des Inhalts „Da wir von Ihnen nichts mehr gehört haben, gehen wir davon aus, dass das Problem jetzt behoben ist“ (dass gar nichts behoben war, hatte ich wiederholt erörtert, sowohl gegenüber dem geschundenen Callcenter-Mitarbeiter als auch per E-Mail, was ARCOR aber nicht zu interessieren schien)
- 1 Besuch eines Telekom-Mitarbeiters (immerhin!), der mir kurz nach Vertragsunterzeichnung die nötigen Plastikkästchen für den DSL-Anschluss aushändigte, was sich im Nachhinein als die einzige sichtbare Anstrengung von ARCORs Seite herausstellte.

Da also die vereinbarte Dienstleistung (Einrichtung eines funktionierenden Festnetzanschlusses) von ARCOR nie erbracht wurde, haben auch die so genannten „Forderungen“ entsprechend abstrakte Namen. Sie heißen:
1. Hauptforderung: DIENSTLEISTUNGSVERTRAG (tatsächlich in Majuskeln!)
2. Verzugszinsen vom so-und-so-vielten, so-und-so-vielten, usw.
3. BISHERIGE MAHNAUSLAGEN UNSERER PARTEI
4. INKASSOKOSTEN INKL. KONTOFÜHRUNGSGEBÜHR
5. BEREITS ERFOLGTE ZAHLUNGEN
6. Ermittlungskosten
7. Gesamtforderung
Virtueller geht es wirklich nicht. Abgesehen von dem willkürlichen Wechsel von normaler Typo zu Großbuchstaben, dessen Sinn sich mir noch immer nicht erschließt, gilt dem zuständigen Kreativen mein ganzer Respekt für die Naming-Entwicklung. Wo auch immer er beschäftigt sein mag, ob bei ARCOR oder bei InFoScore, ich bin mir sicher, ihm steht eine glänzende Karriere im Bereich „Kreation“, Unit „Text“, Subunit „Naming“, Subsubunit „Naming virtual finances“ bevor.

Und weil so viel Kreativität abfärbt, habe ich mich entschlossen, die virtuellen Dienstleistungen mit den fantasievollen Namen ebenso virtuell zu entlohnen. Das bin ich meiner Gläubigerin schuldig!