Mittwoch, 15. März 2006

Zeitdiagnostische Souveränität - Aaaaaah!

Meine im vorigen Beitrag geschilderte Begegnung mit Peter Sloterdijk hatte nicht etwa zur Folge, dass ich mich in die Schlange am Ausleihschalter der vorzüglichen Badischen Landesbibliothek eingereiht hätte, um ein Bändchen des kühn frisierten Philosophen nach Hause zu tragen. NOCH nicht. Zunächst zog ich es vor, mich dem Superhirn mit Hilfe eines anderen Superhirns zu nähern: mit meinem Computer. Auf www.petersloterdijk.net fand ich dann unter vielen anderen sicherlich exorbitanten Texten eine hinreißende Abhandlung über „Weltmanagement im Kommunikationszeitalter“. Untertitel: „Stichworte zur Suche nach zeitdiagnostischer Souveränität im aktuellen Weltbildbruch“.
War’s das verheißungsvoll sinnstiftende Wort „zeitdiagnostisch“ oder doch eher der apokalyptische „Weltbildbruch“ – ich weiß nicht, warum ausgerechnet dieser Text in meine ganz persönliche Sloterdijk-Rezeptionsgeschichte als Initialzündung eingehen wird. Hier ein paar der schönsten Zitate aus eben jenem Sittengemälde unserer so genannten „Informationsgesellschaft“:


„Alle menschlichen Gesellschaften stehen vor dem Problem, die Intelligenz ihrer Mitglieder in fruchtbaren Koalitionen miteinander zu verknüpfen. (...) Aus der conditio humana selbst folgt, dass Menschen ihre begrenzten Intelligenzen so miteinander kombinieren sollten, dass sie gemeinsam klüger würden.“ (Anm.: Wozu gibt es Blogs!)

„Ein Team definiert sich eben dadurch, dass der einzelne in ihm zusammen mit anderen klüger wird.“ Ein paar Sätze weiter folgt die Anleitung zum Selbsttest: „Wenn Sie zusammen mit anderen klüger sind als allein, so sind Sie ohne Zweifel in einem Team. Sind Sie allein klüger als mit anderen, so sind Sie in Gesellschaft.“ (Anm.: Tinifeliz, ich meine, wir sind hier ganz eindeutig in einem Team, oder?)

„Man könnte die Menschheitsgeschichte summarisch charakterisieren als einen Prozess zunehmender Belastung der einzelnen durch steigende Informiertheit. Dies wird verständlich, wenn man weiß, dass Aufklärung ein Prozess ist, der unzählige Informierte in Verlierer verwandelt, das heißt in bloße Rezipienten und Endverbraucher von belastender Information.“

Um nicht völlig an der Unverdaulichkeit der immer größeren Fülle an immer schrecklicheren Informationen zugrunde zu gehen, folgt einen Abschnitt weiter der Appell an jeden, „zeitdiagnostische Souveränität“ zu erlangen. Zeitdiagnostische Souveränität ist nach Peter Sloterdijk „die Anpassung des psychischen Immunsystems von handlungsmächtigen Individuen an die Lebensbedingungen hochverdichteter und hochbelastender Informationsumwelten“.

Dazu hilft es, sich folgendes zu vergegenwärtigen: „Die Kommunikationsmedien moderner Gesellschaften sind Systeme zur Kanalisation von verhaltenssteuernden Massenpaniken. Daraus folgt: Ihrem Grundzug nach arbeiten die Kommunikationsprozesse von Großgesellschaften nicht auf das zu, was man traditionell Aufklärung nennt; sie sind vielmehr wesensmäßig Verfahren der Panikregie.“ (Anm.: Aus aktuellem Anlass hier der Vorschlag an den Leser, die Vogelgrippe-Panikregie einmal näher zu studieren.)

Die Panikregie-These wird sodann wie folgt modifiziert: „Das Gefühl, in einer Normalwelt zu leben, wird heute vor allem produziert durch ein Mediensystem, das Informationen auf einer mittleren Bandbreite von nicht zu guten und nicht zu schlechten Nachrichten sendet.“ (Anm.: Weswegen die Panik mit schaurigen Informationen von der Sprunghaftigkeit des Erregers H5N1, der sich gestern in Schwänen, heute in Katzen, morgen in Hunden und spätestens übermorgen in Menschen einnistet, zunächst in kleinen Portionen geschürt wird, nur um gleich darauf mit dem kollektiven, in präsidialer Unverwüstlichkeit vorgetragenen Credo, dass dennoch „kein Grund zur Panik“ bestehe, relativiert zu werden.)

Ganz nebenbei nennt Sloti (so darf ich ihn wohl insgeheim nennen, nun, da ich ihm durch die gewissenhafte Lektüre wenigstens eines seiner Texte ein Stückchen näher gerückt bin) all jene Entscheider, die als Manager von global agierenden Unternehmen auf Wirtschaftstagungen und Fortbildungsseminare des höheren Managements gehen, unvergleichlich tiefblickend „Athleten des Hinnehmens von weiterbildendem Stumpfsinn“.

Sloti, du bist der Größte! Ich will mehr!!

1 Kommentar:

  1. "Wenn Sie zusammen mit anderen klüger sind als allein, so sind Sie ohne Zweifel in einem Team. Sind Sie allein klüger als mit anderen, so sind Sie in Gesellschaft."

    Pandora! Da teile ich Ihre Meinung UNEINGESCHRÄNKT, wenn es so ist, wie Sloti sagt, dann sind wir DEFINITIV ein Team.
    (Ich weiß, eigentlich bin ich nicht berechtigt, seinen Namen so abzukürzen, da
    a) sich bei mir das Studium seiner Aufsätze auf ein bloßes Überfliegen beschränkte und
    b) ich noch nie in den Genuss des Anblicks eines Teils seiner Glatze, geschweigedenn, eins seinerseitigen Lächelns gekommen bin.
    Dennoch erlaube ich mir, Herrn Sloterdijk bei dem von Dir kreierten Spitznamen zu nennen, da ich davon ausgehe, dass er - wenn er überhaupt je einen Blick in unsere Blogs wirft - mich nie zu fassen kriegt, sollte er erbost sein ob der Verunglimpfung dieses slawisch-edel anmutenden Namens.

    Nun, interessant fand ich aber auch Deine Gedanken zur Vogelgrippe-Panikregie.
    Sloti selbst hat ja zum Thema Tiere auch interessantes geschrieben. Besonders wertvoll war für mich dieser Abschnitt über Pferde:

    Aber gibt es nicht auch unter den heutigen Tieren die Reichen und die Glücklichen, die Schönen und die Bevorzugten? Tatsächlich, einige Arten und Rassen von Haustieren haben im Prozess der Zivilisation offenbar das große Los gezogen. Das gilt ganz im besonderen die Pferde, für die nach einem Weltalter unerhörter Leiden die Geschichte mit einem Mal vorüber zu sein scheint. Das Tier, das über Jahrtausende hin wie kein anderes als Kampf und Kraftmaschine ausgebeutet worden war, ist aus der industriellen Revolution so hervorgegangen, wie es manche Frühsozialisten für den Menschen prophezeit hatten – als ein Wesen, für das die Entfremdung vorbei ist und das sich auf einer posthistorischen Weide den Tätigkeiten hingeben darf, die auch dann noch übrig bleiben, wenn alles andere getan ist. Tatsächlich, die große Mehrheit der heutigen Pferde sind glückliche Rentner, und wenn auch noch einige wenige von auf Jahrmärkten und Rennbahnen im Kreis laufen wie in der bösesten Geschichte, so sind doch die meisten Pferde der Ersten Welt in die Nachgeschichte entlassen.

    Da kommen einem doch die allerhübschesten Vorstellungen, wie so ein nachrevolutionäres Rentnerpferd (in meinen Gedanken hat es ein Hawaiihemd an) in einem Liegestuhl liegt und Cocktails schlürft.

    Ich denke, ich muss mich auch mal intensiver mit Slotis Abhandlungen befassen.

    Vielleicht hilft's ja
    mutmaßt
    Tinifeliz

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